Dumitru Crudu:
Am nächsten Tag
(Kurzgeschichte
aus dem Band "Menschen aus Kischinau")
Um die Kälte, die
auf meinem Rücken schwer lastete, loszuwerden, ging ich ins Bad und legte mich
in eine Wanne voll heißem Wasser, aus der mich aber sein Ohren betäubendes
Geschrei gleich wieder herausholte. Unvermittelt hörte es jedoch auf, und
genauso unvermittelt stürmte er ins Badezimmer mit einer rot emaillierten Waschschüssel
in der Hand, in die er eines seiner Hemden geworfen hatte, und ließ heißes Wasser
drüber fließen. Sobald die Waschschüssel voll war, stellte er sie auf einem
Stuhl ab und ging wieder ins Schlafzimmer. Ich ging ihm nach und warf mich auf
ihn, wie ein Sack Zement. Ich konnte ihn aber nicht aus dem Bett drängen. Als
es ihm gelang, mich auf die Couch zu schubsen, warf er sich auf mich und
verdrehte mir die Arme nach hinten. Ich weiß gar nicht, wie ich mich aus dieser
Enge befreien und mich wieder auf ihn werfen konnte, aber ich weiß, dass ich
irgendwann rittlings auf seinem Bauch saß und versuchte, ihm die Hände mit dem
Gürtel meiner Jeans zusammenzubinden, allerdings ohne großen Erfolg. Dafür
gelang es ihm, meine Hände auf dem Rücken fest zusammenzuhalten, und er schrie
mich dabei an, bis er die Stimme verlor, danach verschwand er im Vorzimmer. Dann
stand er wieder in der Tür und fing erneut an zu schreien, diesmal schrie er
lauter, so laut er konnte. Ich nahm ein Kissen und warf es ihm ins Gesicht,
traf ihn aber nicht, denn er machte die Tür rasch zu und verzog sich ins
Vorzimmer, das Kissen traf das Glas und schlitterte zu Boden. Das Glas hielt
stand. Ich drückte den Lichtschalter und das Schlafzimmer versank in
Dunkelheit. Dann ging ich schnell ins Bett und zog die Decke bis unters Kinn. Als
er das Licht einschaltete, sah ich, dass er rot im Gesicht war und seine Augen
glänzten, als ob er Fieber hätte, oder als ob er plötzlich entdeckt hätte, dass
die Frau vor ihm, die sich unter der Decke versteckte, eine Diebin war, die ihm
die Geldbörse aus der Tasche gezogen hatte. Wie einer, der heimlich getrunken
hatte, oder wie ein Hauswirt, dem ich seit einem halben Jahr die Miete nicht
bezahlt hatte, kam er immer wieder in das Zimmer herein und ging dann wieder hinaus,
wobei er jedes Mal die Tür zuknallte. Das musste mich aufregen, und ich begann
ihn auch anzuschreien, so laut wie jemand, der seine Hand in der Tür
eingeklemmt hat. Ich bat ihn, sich zu beruhigen und sich endlich für einen
Platz zu entscheiden, entweder neben mir auf der Couch oder in der Küche, oder
er soll mir wenigstens sagen, was zur Hölle er von mir will, und wann und womit
ich ihm dermaßen auf den Schlips getreten sei, dass er sich so aufführt. Er
wollte mir aber nichts erklären, schaute mich nur böse an, warf sich ohne
Vorwarnung wieder auf mich und zog die Decke weg. Daraufhin trat ich ihm ans
Schienbein, worauf er mir eine auf den Hintern klebte. Das machte mich rasend,
ich sprang auf und wollte ihn mit der Faust schlagen, er wich aber rechtzeitig
aus, und meine Hand wurde von der Fototapete gestoppt, auf der ein Barrakudaschwarm
von einem Hai verfolgt wurde, und so oder anders landete die Faust in meinem
Mund. Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, womit ich ihn derartig verärgert
haben könnte, aber jetzt war sein Gesicht schon dunkelrot, und er schrie noch
lauter als vorhin, wie die Fernfahrer am Südbahnhof. Er schrie wie ein
Verrückter und das machte mich wütend, weil ich seinen Ärger unbegründet oder
zumindest irrational fand. Seine Wut übertrug sich aber auf mich. Oder
vielleicht hatte sich meine Wut auf ihn übertragen. Jetzt war ich mir nicht
mehr sicher, wer den ersten Stein geworfen hatte. Egal, meine Nase zitterte
schon richtiggehend, und ich machte mich daran, ihn zu schlagen, um es ihm ein
für alle Mal zu zeigen, aber meine Hand schlug wieder ohnmächtig auf die Fische
an der Wand, die so fleißig ihre silbern glänzenden, putzigen Flossen bewegten.
In dem Moment erinnerte ich mich daran, dass sie zum Dekor der Vorstellung von
"Das siebente Kaffeehaus" gehört hatte, während der wir uns, vor
vielen Jahren, zum ersten Mal geküsst hatten. Nur so konnte er Natascha
vergessen, die ihn gerade verlassen hatte, und deshalb hatten wir die Fische an
der Wand, um uns daran zu erinnern, wann und wo unsere erste Berührung stattgefunden
hatte. Ich saß auf ihm drauf und zog ihn an den Haaren, er drehte sich aber
blitzartig unter mir und presste mich an den Hai, der sich gerade daran machte,
die kleinen Fischlein zu schnappen, die so glücklich darüber waren, dass sie
Regenwürmer zu essen bekommen hatten, ohne auch nur die geringste Ahnung zu
haben, was ihnen bald passieren würde. In dem Augenblick klingelte es an der
Tür, er sprang wie gestochen auf und ging, um aufzumachen. Es war mein Vater,
der einmal nachsehen wollte, wie es uns ging. Augenblicklich hatte ich mich
unter der Decke verkrochen und die Augen zugemacht, sodass mein Vater, als er
einen Spalt die Tür aufmachte, um mich zu fragen, wie es mir ginge, mich so sah
und nicht auf einer Antwort beharrte, sondern die Tür wieder zumachte, ohne
sich über das Durcheinander im Zimmer zu wundern. Er schien sich etwas beruhigt
zu haben und folgte meinem Vater in die Küche, wo sie über alles Mögliche
redeten. Ich weiß nicht warum, aber sie flüsterten. Ich war überglücklich als
mir einfiel, wie ich ihn eine Weile los werden könnte, nämlich durch ein
Beruhigungsmittel.
Ich eilte in die Küche, um die
Tablette mit etwas kaltem Wasser herunter zu spülen. Als er mich sah, lächelte
er breit. Nolens volens lächelte ich zurück, da mir klar war, dass dieses
Spektakel ausschließlich meinem Vater galt, der uns schon lange nicht gesehen
hatte. Deshalb erlaubte ich es ihm auch, mich zu umarmen, mich auf die Wange zu
küssen und mein Haar anzufassen. Mehr als das, ich küsste ihn auch auf die
Wange, damit mein Vater den Eindruck gewinnen würde, dass wir eine sehr
glückliche Familie sind. Wowa musste es aber maßlos übertreiben, indem er seine
Hand auf meinen Busen gleiten ließ. Da mein Vater dabei war, schlug ich ihn
nicht, obwohl meine Hand schon sehr juckte und ich mich sehr zurückhalten
musste. Als ob er die delikate Situation ausnutzen wollte, legte er seine Hand
auch noch auf meinem Hintern. Das schien mir doch übertrieben und ich versuchte
mich aus seiner Umarmung zu befreien, aber das Lächeln meines Vaters brachte
mich dazu, es bleiben zu lassen, also ließ ich mich weiter befummeln.
Anscheinend hatten gerade diese unanständigen Geste meinen Vater davon überzeugt,
dass zwischen uns eine perfekte Harmonie herrsche, was ihn fröhlich stimmte.
Wie auch immer, das hatten wir auch erreichen wollen. Deshalb küsste ich ihn
noch einmal auf die Wange und versuchte danach, mich aus der Umarmung zu
befreien, um ein Glas Wasser zu trinken, er wollte mich aber auf keinen Fall
gehen lassen. Er hielt mich fest und küsste mich gierig auf die Wange. Ich wusste
gar nicht mehr, was ich glauben sollte, entweder war er ein sehr guter
Schauspieler, oder etwas hatte sich in seinem Inneren geändert. Um mich noch
mehr zu verwirren, küsste er meine Lippen, ohne sich zu genieren, dass mein
Vater anwesend war. Ich bat ihn noch einmal, mich gehen zu lassen, damit ich
ein Glas Wasser trinken kann, aber anstatt das zu tun, musste er mich noch
enger an seine glühende Brust pressen, und erst als mein Vater intervenierte,
ließ er mich los. Etwas stimmt doch nicht, dachte ich als ich das Glas mit
Wasser füllte. Einige Minuten später musste ich feststellen, dass ich recht
hatte. Kaum hatte sich mein Vater umgedreht, um sich eine Zigarette anzuzünden,
schon ertappte ich ihn dabei wie er mich mit einem kurzen, stählernen Blick
bedachte, der schlicht vor Hass triefte. Er hatte also so perfekt Theater
gespielt, das er nicht nur meinen Vater, sondern auch mich geblendet hatte,
denn auch ich hatte eben gedacht, seine Leidenschaft sei echt. Dabei wollte er
nur meinen viel zu gutgläubigen Vater hinters Licht führen. Obwohl ich, noch bevor
ich seinen Hass erfüllten Blick gesehen hatte, daran zweifelte, ob ich das Schlafmittel
nehmen sollte, so war ich jetzt überzeugt, dass es besser sei, es zu schlucken.
Deshalb nahm ich das Glas Wasser und verzog mich ins Schlafzimmer, allerdings nicht
ohne ihm vorher noch eine Kusshand geschickt und ihn lieb angeschaut zu haben, was
ausschließlich für die Augen meines Vaters gedacht war, der es in seinem Alter
verdient hatte, sich ab und zu freuen zu dürfen. Als ich die Tür hinter mir
zugemacht hatte, verzog sich mein Gesicht bis zu den Ohren zu einer wütenden
Grimasse. Wenn ich ihn jetzt vor mir gehabt hätte, so hätte ich ihm mit
Sicherheit den Wasserkrug auf dem Kopf zerschmettert. Am Rande eines
neuerlichen Wutanfalls ging ich im Schlafzimmer auf und ab, wie ein Tier im Käfig. Ich machte den
Schrank auf und holte ein Papierbriefchen mit Beruhigungstabletten heraus. Eine
davon fiel heraus und landete auf meiner Handfläche. Ich schluckte sie gleich
gierig. Während des Schluckens sah ich mein Gesicht im Spiegel, es war purpurrot,
ich war schlicht ein Nervenbündel. Das Schlafmittel hatte ich also gerade noch
rechtzeitig genommen, sonst wäre ich wohl explodiert. Jetzt musste ich mich aber
so schnell wie möglich beruhigen. Ich musste nur etwas Geduld haben, damit das
Mittel seine Wirkung entfalten konnte. Ich musste also warten. Ich legte mich
ins Bett, die Hände hinter dem Kopf, und schloss die Augen. Mein Vater machte
plötzlich die Tür auf, sah mich merkwürdig an, sagte aber kein Wort und machte
die Tür wieder zu. Genau so plötzlich machte auch Wowa die Tür auf, aber nur um
das Licht auszumachen, und schloss sie dann wieder. Ich wusste, dass er es nur
deshalb tat, weil mein Vater anwesend war, dem er auch gleich wieder mit einer
Zigarette im Mund in die Küche folgte. Sie redeten wieder im Flüsterton und ich
hatte das Gefühl, sie würden über mich reden. Das war allerdings nicht der
Grund, warum ich noch einmal in die Küche ging, sondern weil es mir nicht
gelingen wollte einzuschlafen. Es ging ganz einfach nicht. Sobald ich eintrat, verstummten
sie. Es war mir klar, dass sie nur meinetwegen aufgehört hatten zu reden. So
lange ich ein Glas Wasser trank schwiegen sie weiter, aber als ich wieder durch
die Tür gegangen war, begannen sie erneut wie kaputte Windmühlen zu tratschen,
was sie aber weiterhin flüsternd taten, jedoch redeten sie unentwegt. Als ich später
noch ein Glas Wasser trinken wollte, war es so als ob sie ihre Zungen
verschluckt hätten. Ja mehr als das, mein Vater hatte sich auch noch hinter
einem Exemplar der Moldova suverana
versteckt, von wo aus er mir einen verstohlenen Blick zuwarf. Wowa stand mit
dem Rücken zu mir und blickte aus dem Fenster in den Hof hinaus. Jetzt hatte er
es nicht mehr eilig, mich zu umarmen, auch nicht um meinen Vater zu
beeindrucken. Könnte es sein, dass mein Vater auf seine Seite gewechselt war?
Um die Sache noch mehr anzuheizen und um zu sehen, was sie tun würden,
beschloss ich, noch etwas zu bleiben, setzte mich auf einen schäbigen Stuhl,
verschränkte die Arme und schaute sie abwechselnd mit gerunzelter Stirn an, bis
ich sie auf diese Weise ins Vorzimmer verbannte. Als es klar war, dass ich
nicht vor hatte, die Küche zu verlassen, machte mein Vater die Tür einen Spalt
auf und warf mir einen bösen Blick zu, der mich direkt in die Hölle beförderte,
wobei ich nicht verstehen konnte, was Wowa ihm erzählt haben könnte, um ihn
derart umzudrehen. Egal, und auch wenn mir nichts einfallen wollte, wie ich ihn
dazu bringen könnte, besser von mir zu denken, hoffte ich insgeheim, dass die
Tablette zu wirken begänne und mich in eine andere Welt geleiten würde. Nach
meinen Berechnungen hätte das schon längst passiert sein müssen. Es war höchste
Zeit, dass die Tablette Wirkung zeigte. Und deshalb ging ich lässig an den
beiden vorbei, so wie sie verärgert im Flur standen, und betrat ruhig und
fröhlich das Schlafzimmer. Ich war mir sicher, dass von einem Moment zum anderen
die Tablette mich in die süßen Gefilde des Schlafes befördern würde, wo ich die
beiden für eine Weile vergessen konnte. Ich legte mich heiter aufs Bett, machte
die Augen zu und wartete darauf, dass mich der Schlaf übermannte. Aber wie sollte
er das, wenn ich mich jetzt fühlte, als ob ein Igel in meinen Kopf eingedrungen
wäre. Jedes Geräusch, das aus dem Flur oder der Küche zu mir drang, störte
mich, aber am meisten störte es mich, dass Wowa und mein Vater wieder über mich
lästerten. Ja, sie redeten über mich. Da hatte ich keinen Zweifel mehr. Ohne es
zu wollen, spitzte ich die Ohren und hörte, wie Wowa sich darüber beschwerte,
dass er mich in den letzten Tagen einige Male erwischt habe. Ich hatte also
richtig vermutet. Er hatte die ganze Zeit über mich gelästert, wie es ihm
einfiel. Ich legte mein Ohr an die Wand, aber als ob er das gespürt hätte,
schwieg Wowa plötzlich.
Unerwartet kam Wowa ins Zimmer und legte
sich zu mir aufs Bett, ließ aber mindestens einen Meter Abstand zwischen uns.
So als ob er sich neben einem Fremden hingelegt hätte, war er sehr darauf
bedacht, mich nicht zu berühren. Er benahm sich so, als ob jemand ganz anderer
und nicht er es gewesen wäre, der mich vorhin in der Küche vor den Augen meines
Vaters leidenschaftlich umarmt hatte. Unvermittelt begann er wieder, mich
anzuschreien, ohne sich darum zu scheren, dass mein Vater ihn hören könnte,
dessen Meinung ihm doch ziemlich wichtig war. Das Größte war, dass mein Vater
sich in der Tür zeigte und lächelte, anstatt sich zu grämen, als ob er damit Wowa
darin bestärken wollte, mich weiterhin abzukanzeln. Auch Wowa bemerkte das
Lächeln meines Vaters und fühlte sich darin bestärkt, mich weiter zu
bearbeiten. Die Allianz zwischen den beiden wurde mir zu viel, ich sprang auf,
zischte wieder in die Küche, wo jetzt niemand war und setzte mich erneut auf
den kaputten Stuhl mit dem lockeren Boden, wo ich hoffte, dass die Tablette
endlich wirken und mich augenblicklich der Schlaf übermannen würde. Das passierte
aber nicht, also stopfte ich mir Watte in die Ohren und ging zurück ins
Schlafzimmer. Es half aber nichts, der Schlaf wollte nicht kommen, egal wie sehr
ich darum betete. Statt des Schlafs betrat aber Wowa wieder das Zimmer, und
seine donnernde Stimme ließ mich deutlich verstehen, was er sagte. Um ihn zu übertönen,
begann ich ein willkürlich ausgewähltes Fragment aus Dubliners auf Rumänisch aufzusagen, nur um seine heisere
Katerstimme, die sich in meine Ohren bohrte, zu übertönen. Er nahm vom
Nachttisch den gleichen Band von Joyce, allerdings auf Russisch, und wählte
eine Passage, die er mit tieferer Stimme zu rezitieren begann. Ich sprach
lauter. Wir schrien uns so lange Joyce-Sätze entgegen, bis wir nicht mehr
konnten. Ich wurde plötzlich von einem heftigen Husten unterbrochen, er riss
mir das Buch aus der Hand und warf es unter das Bett, hörte aber selbst nicht
auf vorzulesen. Er las weiter und betonte dabei jedes Wort von Joyce. Es war
so, als ob er mir mit jedem Wort eine Handvoll Salz in die Augen streuen
wollte. Seine Stimme bohrte sich jetzt in mein Hirn und ich konnte an nichts
anderes mehr denken, als dass ich Joyce hasste. Seine Stimme war dermaßen laut,
dass ich mir statt Watte die Finger in die Ohren steckte und mich unter der
Deckte zusammenrollte. Das half aber nichts, denn seine Stimme hallte in meinem
Gehirn und schob mich stetig zum Gipfel der Verzweiflung. Als er das merkte,
hörte Wowa auf und lächelte mich zärtlich an. Er ergriff liebevoll meine Hand
und küsste meine Wange mit süßen, weichen Lippen. Ein süßes Lächeln breitete
sich auf seinem Gesicht aus, seine anpassungsfähige Stimme wurde liebevoll und zärtlich. Er strich
über meine Wange und erklärte meinem Vater – der gerade die Tür aufgemacht
hatte, um uns zu sagen, dass auch er sich gerne irgendwo kurz hinlegen würde –,
was für eine schöne Frau er habe. Wowa sprang gleich auf und bot sich an,
meinen Vater in die Bibliothek zu begleiten, wo er einen Sessel zu einem
Einzelbett auszog.
Ein zäher, gelber Auswurf löste sich
aus meiner Brust und feuchtete meine trockenen Lippen an, als ich sah, dass er
wieder ins Zimmer gekommen war. Nachdem ich das in meine linke Hand ausgespuckt
hatte, glotzte ich ihn an, in der Hoffnung, dass ihn das anekeln würde, aber
nicht nur, dass er keine Miene verzog, er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Jetzt sprach er mit einer Stimme wie aus einem Fass mit irgendjemandem am Handy.
Ich verließ das Zimmer, da ich keine Lust hatte, sein Geplapper anzuhören,
knallte demonstrativ die Tür zu, verärgert, dass die Tablette so gar keine
Wirkung auf mich hatte, und ging in die Küche, entschlossen noch eine zu
schlucken. Während ich mir Wasser einschenkte, bohrte sich seine Stimme weiter
in meine Ohren, obwohl ich jetzt in der Küche stand. Deshalb eilte ich ins Bad,
wo niemand sonst war. Ich glitt etwas enttäuscht in die Badewanne. Das heiße
Wasser zog sich wie eine Decke bis unter mein Kinn und ich betete, dass es mich
schneller entspannen würde. Kurz gesagt, ich war bereit meinetwegen auch im Bad
einzuschlafen. Hauptsache ich schlief ein. Und doch, als ich nach etwa einer
Viertel Stunde merkte, dass ich dabei war einzuschlafen, erschrak ich, sprang
aus dem Wasser und ging triefend nass ins Zimmer, wobei ich meine Augen kaum
noch aufhalten konnte. Schließlich konnte es mir völlig egal sein, was Wowa von
mir hielt. Ich konnte es kaum erwarten, ins Bett zu kommen und endlich zu
schlafen. Deshalb ging ich würdevoll ins Zimmer und trocknete mich
währenddessen ab. Wowa sah mich an, als ob ich eine Aussätzige wäre. Ohne ihn zu
beachten, ging ich nackt und lächelnd ins Bett und schlief gleich ein, aber ein
Tumult, der aus dem Hof kam, weckte mich. Mein Vater erschien in der Tür, worauf
Wowa von seinem Platz neben mir aufsprang und freundlich lächelnd ins Vorzimmer
eilte. Ich befand mich zwischen Wachzustand und Schlaf, und die Stimmen Wowas
und meines Vaters klangen ein Mal wie ein Knall in meine Ohren, ein anderes Mal
wieder dünn, wie ein Klumpen Marmelade, den man mit aller Kraft unter einem
Löffel zerquetscht. Ich weiß nicht mehr, wann ich einschlief, aber es war
plötzlich und schlief sofort tief. Diesmal weckte mich Wowa, der mit einer sich
überschlagenden Stimme meinem Vater etwas über mich erzählte. Ich schlief
wieder ein und wurde erneut von Wowas Stimme geweckt, die sich in mein Hirn
bohrte. Wie konnte er bloß so viel über mich reden? Ich tauchte in der Küche
auf und starrte Wowa an, der ohne Unterlass redete, und meinen Vater, der ihm
mit offenem Mund zuhörte. Sie redeten aber weiter und ignorierten mich absichtlich,
ich schluckte und schloss wieder die Tür. Wowa machte die Tür wieder auf, kam
mir ins Schlafzimmer nach und legte sich neben mich. Ich spuckte wieder einen
gelblichen Auswurf in die Handfläche und wischte nach dessen eingehender
Betrachtung meine Hand an meinem Morgenmantel ab, das alles nur, um ihn zu
ärgern und anzuekeln. Das hätte ihn sonst in höchstem Maße aufgebracht, jetzt
sah er mich aber, wie ein gewisser Schriftsteller aus Iasi sagen würde, von
unter der Decke an, also ganz gleichgültig, als ob nichts gewesen wäre. Dann
ging er wieder zu meinem Vater in die Küche und begann, sich wieder über mich
zu beschweren. Meine Stirn glühte. Sie war so heiß, das ich meine Finger sofort
wegziehen musste. Meine Wangen zischten wie ein glühendes Bügeleisen.
Eigentlich war mein ganzer Körper heiß, als ob ich den ganzen Tag auf einem
heißen Ofen verbracht hätte. Ich ging ins Bad, um mir Wasser ins Gesicht zu
spritzen. Ich drehte den Hahn auf und hielt meinen Kopf unter den kühlen
Strahl. Es war unglaublich, aber eine heisere Stimme erwartete mich im Bad,
obwohl er nicht hier war, sondern in der Küche, wo er lauthals meinem Vater
irgendetwas sagte, und mein Vater ihm mit spitzen Ohren und offenem Mund
zuhörte. Beide waren aufgeregt. Einige Augenblicke lang drang die grobe Stimme Wowas
aus drei verschiedenen Richtungen zu mir und bohrte sich in mein Hirn, wie ein
vergifteter Pfeil, da wusste ich nicht mehr, wo er sich befand: in der Küche,
im Vorzimmer, in dem Zimmer, in dem sich meistens mein Vater aufhielt, wenn er
uns besuchte, oder in unserem Schlafzimmer?
In der Zwischenzeit kam mein Vater
aus dem Klo, wo er nicht nur das Licht angelassen hatte, sondern auch nur sehr
oberflächlich die Wasserspülung gezogen hatte, was mich zwang, diese noch ihm zu
betätigen, um mich nicht vor meinem Mann zu blamieren, ich tat dies aber erst
als mein Vater wieder die Küchentür zugemacht hatte, damit er nicht sehen konnte,
was ich tat. Unglücklicherweise ertappte mich Wowa dabei und durchbohrte mich
mit einem jubelnden Blick, er freute sich wohl innerlich darüber, dass mein
Vater ungehobelt ist und ein armer Schlucker, der bei sich zuhause noch immer auf
der Toilette hinten im Hof pinkelt. Während ich auf der Toilette mit dem
Luftspray hantierte, konnte ich einfach nicht anders, als mich maßlos darüber
zu ärgern.
Jaja, sicher war ich baff, als ich
sah wie sie in die Toilette geht und die Wasserspülung betätigt. Da hätte ich
platzen können, zumal es nicht zum ersten Mal geschah. Praktisch jedes Mal,
wenn mein Schwiegervater uns besucht und auch mal aufs Klo geht, geht sie im
gleich nach und spült noch einmal oder sprüht Luftspray. Es stimmt schon, dass
Vassili Georgewitsch manchmal vergisst, das Licht auszuschalten, die Wasserspülung
zu betätigen, oder er pinkelt auch mal daneben, aber wem ist das nicht schon
passiert, dass er auf den Toilettensitz gepinkelt hat, mit oder ohne Absicht?
Wenn ich ehrlich sein soll, mir ist das auch schon passiert und drei Mal habe
ich absichtlich auf den Boden gepinkelt, und einmal wollte ich einfach nicht
spülen und ließ den Kot sichtbar in der Kloschüssel schwimmen. Ich tat dies
aber in einer ganz bestimmten Absicht, nämlich um mich zu rächen. Jaja ich
weiß, dass ihr Vater einmal den Gasherd aufgedreht ließ, unangezündet, so dass wir
wohl alle in die Luft geflogen wären, wenn sie nicht aufgepasst hätte, aber von
da bis zur Kontrolle jedes seiner Schritte ist es ein langer Weg. Sie tut aber genau
das, sie beobachtet jeden Schritt von Vassili Georgewitsch, obwohl sie weiß,
dass ich das hasse, und besteht darauf, ihm überall hin zu folgen. Und es ist
nicht nur das Klo oder das nasse Handtuch im Bad, sondern sie geht so weit,
dass sie das Bett befühlt, in dem er geschlafen hat, um zu sehen, ob es nicht
vielleicht feucht ist. So betrachtet, stehen die Dinge sehr schlecht, denn sie
begegnet ihm mit offenem und immer größerem Misstrauen. Und in letzter Zeit
behandelt sie mich genau so. Sogar wenn ich staubsauge, packt sie das Gerät, wenn
ich fertig bin, und geht noch einmal überall drüber, weil sie den Eindruck hat,
dass alles, was ich oder Vassili Georgewitsch tun, oberflächlich und ohne jeden
Eifer getan wird. Diese ihre Handlungen, wenn ich ehrlich sein soll, sind mir
und meinem Schwiegervater ein Dorn im Auge, und ich glaube nicht, dass sie das
nicht weiß, sie weiß es sehr wohl und hört nicht damit auf. Jetzt zum Beispiel
hat sie bemerkt, dass ich mir eine Gemüsesuppe kochen will und hat sich wie ein
Ochse in die Tür gestellt und lässt mich nicht in die Küche hinein. Weil sie
eifersüchtig ist. Ich habe sie beiseite geschoben und mich an sie vorbei
gedrängt, bin zum Kasten gegangen, aus dem ich einen Topf geholt und mit Wasser
gefüllt habe. Während ich auf dem Brett eine Karotte geschnitten habe, habe ich
beobachtet, wie sie mich böse anschaut, und ich weiß auch warum, weil wenn sie
die Küche nicht mehr unter Kontrolle hat, dann hat sie mich auch nicht mehr
unter Kontrolle, in keiner Weise. Es stimmt schon, dass sie eine Million mal
besser kocht als ich, ihre Gerichte sind schmackhaft und von besonderer Raffinesse,
meine hingegen sind fad und irgendwie geschmacklos. Nach ihren Salaten möchte
man sich am liebsten die Finger ablecken, vor meinen möchte man am liebsten
weglaufen. Und doch sind mir meine lieber, weil ich ein freier Mann sein will.
Es gab eine Zeit, in der sie Kellnerin spielte, sie setzte mich auf dem Stuhl,
tat die Suppe in den Teller und brachte sie mir auch noch, bis ich drauf kam,
dass sie das nur tat, um meine Dankbarkeit zu erzwingen und mich unterm
Pantoffel zu halten. Sie spülte meinen Teller auch nur, damit ich ihr dankbar
bin und mich gefühlsmäßig und psychisch zu kontrollieren. Es mag Zufall sein,
aber ich begriff das Spiel ungefähr eine Woche vor den Wahlen, irgendwann nach
dem 23. März. An dem Tag hatte sie eine so gute Suppe gekocht, dass ich sie am
liebsten singend gegessen hätte. Die hatte sie auch in einem, wie Günter Grass
sagen würde, bauchigen Teller angerichtet, den sie schnell auf den Tisch
stellte. Und während ich mich über den Teller beugte, setzte sie sich zu meiner
Linken und fing an zu plaudern. Also an dem Mittwoch, ich glaube da war es nur
noch eine Woche bis zu den Wahlen, da habe ich verstanden, worauf sie aus ist:
mit jedem Löffel, den ich zum Mund führte, wollte sie mir auch noch ihre
Weltanschauung mitservieren. Seit ich das kapiert habe, und das war vor einigen
Tagen, koche ich für mich selbst und wasche auch selbst ab, egal ob sie sich
dagegen wehrt. Als ich zum ersten Mal meine eigene Suppe gegessen hatte, da
wurde ich ein anderer Mensch. Ich weiß, dass es ihr unheimlich auf die Nerven
geht, dass ich für mich selbst koche, aber ich will mich nicht geschlagen
geben. Damit trete ich ihr wohl auf die Zehen, aber aufgeben will ich auch
nicht. Jetzt hat sie auch angefangen, auf der daneben stehenden Feuerstelle
eine Suppe zu kochen, und wir schneiden fleißig Kartoffel und Zwiebel, werfen
die in das kochende Wasser und schauen uns ab und zu gegenseitig schief an. Ich
weiß, dass ihre Suppe besser schmecken wird, dachte ich mir, aber ich wollte nicht
aufgeben und ging hinaus, so wie sie es dauernd macht, mit dem Gesicht zu
denen, die in der Küche sind, nicht mit dem Rücken.
Ich ließ die Suppe
auf dem Herd kochen und schlich mich ins Schlafzimmer, wo sein Buch Ljudi s Dublina über meinem Buch Dubliners lag. Ich tauschte blitzschnell
die Reihenfolge der Bücher. Jetzt lag Joyce
auf Rumänisch oben und Ljudi s
Dublina unten. Als er aus der Küche
herein kam, merkte Wowa die Veränderung nicht und ging zufrieden weiter zu
meinem Vater in die Bibliothek, mit einer brennenden Zigarette im Mund. Dann
schlief ich ein, und als ich zwei Sunden später erwachte, eilte ich in die
Küche, um die Gasflamme unter der Gemüsesuppe auszumachen. Dort ertappte ich Wowa
dabei, wie er gerade meinem Vater seine Suppe servierte, da bot ich ihm auch von
meiner Suppe an, aber er wollte nichts davon hören, beugte sich über die Suppe
meines Mannes und aß genüsslich davon, wobei er nicht damit aufhören konnte,
ihre Oualitäten zu loben, obwohl ich wusste, dass sie keine davon haben konnte.
Um zu zeigen, dass er es auch so meinte, bat mein Vater Wowa um einen zweiten
Teller Suppe, was Wowa ausgesprochen glücklich machte. Mein Vater war schon
dabei, den zweiten Teller fertig zu essen, als Wowa geschmeichelt den Kopf in
die Hände stützend anfing, ihm zu erzählen, wie er sie gekocht hatte, und ich
musste bemerken, wie seine Stimme gleichzeitig aufgekratzt und heiser klang.
Als mein Vater den dritten Teller anging, kam Wowa zu mir und küsste mich auf
die Stirn. Da ich seinem Triumph nicht länger beiwohnen wollte, drehte ich mich
um und zischte aus der Küche hinaus. Eine solche Niederlage hatte ich schon
lange nicht mehr erlebt. Als ich ins Schlafzimmer kam, sah ich sofort, dass die
zwei Bände von Joyce – die rumänische und die russische Version – wieder in
veränderter Reihenfolge da lagen, Ljudi s
Dubina war jetzt oben, Oameni din
Dublin unten, das heißt, es war
ihm gelungen, in dieser kurzen Zeit ins Zimmer einzudringen und heimlich diese
Änderung vorzunehmen, fragt sich aber wann, denn ich hatte ihn doch die ganze
Zeit im Auge gehabt. Ich konnte mich partout nicht daran erinnern, dass er in
der letzten halben Stunde aus der Küche gegangen wäre. Wäre es möglich, dass
mich der Schlaf ereilt hatte, ohne dass ich es merkte? Egal wie es passiert
war, ich änderte wieder blitzschnell die Reihenfolge, in der die Bände von
Joyce lagen, jetzt thronte Oameni din
Dublin über Ljudi s Dublina, was
mich dazu brachte, jubelnd meine Fäuste zu erheben. Ja, ich jubelte regelrecht.
Ich jubelte im Schlafzimmer, er in der Küche. Wie es schien, hatte er aber eine
größere Freude als ich, und sein dünnes Lachen drang zu mir aus der Küche und
schlich sich diebisch in mein Gehirn, wobei es mich aller meiner Triumphgefühle
beraubte, die ich gerade hatte, bis ich eine große Leere in meiner Seele
spürte. Ich dem Augenblick klingelte das Telefon, Wowa hob angefressen ab und
rief genervt nach mir:
„Tebea
ischtschut!“
„Ist es für mich?“
„Da, tebja!“
„Und wer ist
dran?“
„A ja otkuda
znaju, vedi ja ne Vanga, a oni nikagda nepredstavljajutsa!“
„Warum hast du
nicht gefragt, wer dran ist?“
Auf diese Frage
antwortete ich nicht mehr, ich schmiss einfach das Telefon auf diese bräunliche
Anrichte unter dem Spiegel und schlich mich in die Küche zu meinem
Schwiegervater. Mariana wurde grün vor Wut, weil ich den Typen, der sie
sprechen wollte, angeschrien hatte. Es stimmt, dass Mariana genervt ist, weil
ich öfters unhöflich zu ihren Bekannten am Telefon bin und sie schnell abwimmle.
Deshalb zeigt sie sich verärgert, wenn ich das tue, aber andererseits, wie
sollte sie mich daran hindern. Aber sie tut das Gleiche mit meinen Bekannten,
das heißt sie antwortet ihnen im gleichen kurz angebundenen Ton, und mich
ärgert das ehrlich gesagt mächtig, genauso wie sie sich über mich ärgert, wenn
ich ihre Bekannten abwimmle. So kommt es, dass die Leute uns inzwischen für
verrückt halten und kaum einer mehr es wagt, uns anzurufen, weil die eben
wissen, wie so etwas ablaufen kann, aber sie lässt das völlig kalt. Ich habe
ihr ein Tauschgeschäft vorgeschlagen, dass ich eben netter zu Ihren Freunden
und sie zu meinen sein sollte, sie hat meinen Vorschlag aber abgelehnt, weil
sie findet, dass ihre Forderungen berechtigt, meine aber gänzlich irrational
sind. Ich glaube jedoch, die Dinge liegen umgekehrt. Deswegen fahre ich ihre
Bekannten an, wobei die Erstanrufer verwundert sind, aber vor allem Marianas
Freundinnen, die sie fast täglich anrufen. Es stimmt, dass Marianas Freundinnen
mir ziemlich zickig vorkommen, weswegen ich sie bei jeder Gelegenheit
zurechtweise, damit sie kapieren, dass sie nicht die einzigen sind, die auf
diesem Planeten wandeln. Erst zwei, drei Tage vor den Wahlen haben sie, allen voran
Veronica und Liliana, die unter uns gesagt eine schlichte Putzfrau und eine Omnibusfahrerin
sind, die erst vor kurzem zum ersten Mal bei uns waren, die Küche in Beschlag genommen
und angefangen zu labern, und ich, um ihnen zu trotzen und sie vom hohen Ross
herunter zu holen, setzte mich auf einem Stuhl in der Küche und begann, laut
mit mir selbst zu reden. Da entstand ein ziemlicher Radau! Sie packten mich jede
bei einer Hand und versuchten mich aus der Küche raus zu werfen, aber das
gelang ihnen nicht, da ich immerhin noch bei Kräften bin, und um sie noch mehr
zu verärgern, blieb ich da und redete weiter laut, kommentierte dabei alles was
ich gerade tat – wot ja sejtschas papju tschaj – und sonstige
Nichtigkeiten, bis ihnen der Kragen platzte und sie freiwillig in die
Bibliothek gingen, wo sie wie sumsende Bienen um Mariana schwirrten und
versuchten, sie zu überreden, mich zu verlassen. Von allen Verwandten und
Freunden meiner Frau unterhält sich nur mein Schwiegervater gerne mit mir. Er
versteht mich am besten und akzeptiert mich so, wie ich bin, wobei es ihm egal
ist, was Mariana davon hält. Das ist der Grund, warum ich jetzt angeboten habe,
ihm einen Kaffee zu kochen. Als Mariana sah, dass ich das Wasser dafür aufsetzte,
warf sie mir einen bösen Blick zu, und ich dachte, dass ich ihr zum Kuckuck nochmal
eines Tages ordentlich die Leviten lesen sollte, weil sie sich für so vornehm
hält, und der einzige Grund, warum ich gerade jetzt darauf verzichtete, meine
Krallen zu zeigen, war, dass ich das nicht in Gegenwart von Vasilij
Georgewitsch tun wollte, den ich doch sehr gern habe.
Der- oder
diejenige, der angerufen hatte, hatte lägst aufgelegt, es war nur mehr ein
biep, biep, biep zu hören, aber mein Blut geriet nicht deswegen in Wallung,
sondern weil ich sein Blabla in der Küche hören konnte, und ich begriff, dass
er mich wieder schlecht machte.
Das Telefon
klingelte, und ich hob mit zitternder Hand ab.
"Ja, ich
höre." Der Anrufer schwieg aber.
"Ja, bitte, melden
Sie sich doch", murmelte ich einige Male, bis der Anrufer anfing zu reden.
Es war ein Dichter aus Bukarest dran, der mich wie aus heiterem Himmel anfing,
wüst zu beschimpfen. Er wollte wissen, wieso ich ihm nur hundertzehn Lei bezahlt
hatte für das Gedicht, das in der Zeitschrift Moldova abgedruckt wurde, bei der ich als Fotografin arbeite. Mir
persönlich hatte sein Gedicht sehr gut gefallen, aber ich bin nicht diejenige,
die über die Höhe der Honorare entscheidet. Für ihn war ich jetzt die
Schuldige, weil ich den Text angefordert hatte. Der Bukarester Dichter
schimpfte mich in Grund und Boden und drohte, nach Kischinau zu kommen, um mich
höchstpersönlich in der Luft zu zerreißen. Wowa stellte sich vor mich, zeigte
seine Backenzähne und hustete bedrohlich. Er steckte die Hände in die Taschen
und sah mich schief an, als ob er mich ohrfeigen wollte.
"Ja, gut,
natürlich. Ich erwarte dich", murmelte ich in Richtung des wildgewordenen
Dichters, der gar nicht aufhören konnte, mich anzubrüllen, und den ich einlud,
bald nach Kischinau zu kommen, was ihn noch wütender machte.
"Du Eule, wie
konntest du ein Gedicht von mir verlangen, wenn du wusstest, dass du mich nicht
bezahlen kannst? Du Affe! Du stinkende Russin!"
Auf der einen
Seite brüllte mich dieser Dichter aus Bukarest an, den Daniel Cristea-Enache
den besten Poeten seit 2000 genannt hatte, auf der anderen stand Wowa vor mir,
rot im Gesicht, stechender, frecher Blick, so als ob er sich gleich auf mich
stürzen wollte. Je lauter mich der eine anbrüllte, desto aggressiver sah mich Wowa
an, so als ob die zwei sich abgesprochen hätten. Wowa blickte mich mit seinen
kleinen Augen an, die wie Billardkugeln in alle Richtungen schossen, kreiste
dabei um mich herum und sah mich zähneknirschend von oben bis unten an, als ob
er unbedingt einen Fehler an mir finden wollte. Wütend brüllte mich auch der
Dichter aus Bukarest weiter an, der mich beschuldigte, dass ich ihn bis aufs
Hemd ausziehen wollte.
"Du KGB-Spitzel,
sag, was haben dir die Russen bezahlt, damit du die rumänischen Schriftsteller
dazu bringst, Bessarabien zu hassen? Du frigide Schlampe, wegen Menschen wie
dir hassen die Rumänen Moldawien. Du dreckige Kagebistin! Du Abschaum!“ Ich konnte
alle Beschimpfungen des Bukarester Dichters im eisigen Blick Wowas
wiederfinden. Die zwei Männer, die einander nicht kannten, ergänzten sich
fabelhaft in diesen Augenblicken. Während der eine meinen Schädel mit Worten zu
spalten versuchte, gab sich der andere jede Mühe, mich mit Blicken zu verbrennen.
Da hatte ich auch genug und legte auf.
„Uff, nakonetz,
telefon svobonyji!“ rief Wowa aus und begann hastig eine Nummer zu wählen. Jetzt
stellte ich mich vor ihn hin, schmirgelte ihn mit Blicken und kommentierte
dabei jedes seiner Worte, um ihn zu stören. Ich ließ ihn nicht aus den Augen
und versuchte, ihm den Hörer aus der Hand zu reißen, was mir aber nicht
wirklich gelang. Es war mir egal, mit wem er da eigentlich sprach. Ich wollte
ihm nur das Leben schwer machen. Ich bewegte mich also um ihn herum und rümpfte
die Nase. Mein Vater musste wohl eingeschlafen sein, denn aus dem Zimmer, in
das er sich zurückgezogen hatte, gleich als das Telefon läutete, hörte man
keinen Mucks. Plötzlich legte Wowa auf und ich ging triumphierend ins
Schlafzimmer. Er eilte mir aber hinterher. Um ihn los zu werden, schlich ich
mich aufs Klo, wo ich das Licht anknipste, meine Höschen auszog und einen
stolzen gelben Strahl losließ, Wowa stieß aber die Tür auf und zerrte mich
mühelos heraus. Jetzt wollte ich aber wirklich Pipi machen. Ich sprang vor der
Toilette von einem Bein aufs andere und hatte Angst, mich nass zu machen, dazu
kam es aber nicht, da Wowa plötzlich hinaus stürmte, sodass ich in Ruhe weiter
machen konnte, obwohl ich jetzt schon angefressen war. Meine Augen rollten nach
allen Seiten und ich dachte, dass ich schon lange nicht mehr so wütend gewesen
bin. In letzter Minute überlegte ich aber, ihn zu ignorieren und, anstatt mich
zu rächen, lieber noch eine Tablette zu schlucken und versuchen zu schlafen.
Jetzt stand ich vor dem Klo und versuchte mich zu entscheiden, was besser war,
schlafen zu gehen oder mich rächen. Einerseits hätte ich es ihm gern gezeigt,
andererseits wäre ich lieber schlafen gegangen. Gleichzeitig musste ich daran
denken, dass ich schon zwei Tabletten genommen hatte, und ich hatte Angst, es
zu übertreiben, mich zu vergiften oder auch nur eine offene Tür einzutreten.
Ich ging im Vorzimmer auf und ab und versuchte die Pro- und Kontraargumente
abzuwägen. Die Vernunft sagte mir, dass noch ein Sedativum mich wohl in Teufels
Küche bringen würde, sodass ich beschloss, ins Schlafzimmer zurückzukehren und
zu probieren, so gut es gehen würde ohne weitere Tabletten einzuschlafen. Ich
fand ihn wieder im Zimmer, den Blick auf die Zimmerdecke gerichtet. Jetzt war
er ganz ruhig. Ein dünner Speichelfaden lag auf seinem Kinn, und er bemühte
sich in keiner Weise, ihn wegzuwischen. Ich stand unentschlossen vor dem
Kasten, die Hand auf dem silbernen Medikamentenbeutel, und konnte mich nicht
wirklich entscheiden. Nein, zum Teufel mit ihnen allen, ich wollte nicht mehr
schlafen, dachte ich mir plötzlich, und ging ins Vorzimmer hinaus, das
Wörterbuch der rumänischen Sprache unterm Arm, und setzte mich dort vorsichtig
auf die bräunliche Nähmaschine. Als Wowa fast nackt aus der Tür schaute,
blätterte ich demonstrativ um. Da ich das Wörterbuch täglich verwendete, sah es
schon ziemlich abgenutzt aus. Die Deckel und die ersten Seiten fehlten und die
Seiten hatten Eselsohren, die nach oben schauten, wie der Schnurrbart eines
Freiers???. Die noch ganz gebliebenen Seiten waren uneben und abgegriffen, nur
noch schwach zusammengeleimt, so dass man leicht hätte welche verlieren können.
Plötzlich fiel es Wowa ein, ein Hemd bügeln zu wollen, und das just auf der
Oberfläche des Nähmaschinengehäuses, auf das ich mein Wörterbuch gelegt hatte,
in dem ich jetzt stehend blätterte. In dem Augenblick wurde die Wohnung durch
eine Stromunterbrechung in Dunkelheit versenkt. Wowa zündete sich im Dunkeln
eine Zigarette an und ich eine Kerze, bei deren Licht ich mich bemühte, weiter
im Lexikon zu lesen. In der Bibliothek, in der er geblieben war, bewegte mein
Vater sein Ohr am Radio entlang, und kam immer wieder, mit der Regelmäßigkeit
eines chinesischen Tropfens, in die Küche gelaufen, wo Wowa jetzt rauchte, um
ihn darüber zu informieren, was in jenen Augenblicken gerade in der Stadt los
war. Ich versuchte aber, die beiden zu ignorieren. Ich hielt die Kerze in einer
Hand, mit der anderen stützte ich mich auf den Tisch und versuchte verzweifelt,
mir eines der Wörter zu merken, die ich noch nicht kannte, vor allem aus den
archaischen oder regionalen Bereichen der rumänischen Sprache, für die ich in
letzter Zeit eine richtige Leidenschaft entwickelt hatte. Als der Strom
wiederkam, ging ich wieder ins Schlafzimmer, das Wörterbuch an meine Brust
gepresst. Von der Tür aus suchte ich ihn schon mit Blicken, er war nicht im
Schlafzimmer. Ich legte mich schnell auf die Couch, aber Valentina Pavlovnas Schwiegersohn,
der vor kurzem in die Wohnung unter uns gezogen war, begann plötzlich laut zu
reden. Obwohl er zart gebaut war, plapperte er jetzt wie ein Marktweib. Weiß
der Teufel, mit wem er da sprach, aber das tat er so laut, dass ich ihn so deutlich
hören konnte, als ob er nur zwei Schritte entfernt vor mir stünde. Doch ich kam
nicht drauf, was ihn dermaßen aufregen konnte, dass er so laut schrie. Ausgestreckt
auf der Couch, stopfte ich mir die Finger in die Ohren und nahm mir vor, nicht
daran zu denken, was der Typ unter mir gerade sagte. Es gelang mir aber nicht,
denn er schrie, was das Zeug hielt. Deshalb wollte ich das T-Lineal nehmen, um
damit auf dem Boden zu klopfen, aber Wowa, der gerade ins Zimmer gekommen war,
riss es mir aus der Hand. Nicht nur das, sondern er blieb auch noch mitten im
Zimmer stehen und spitzte die Ohren, um jedes Wort mitzukriegen, das der
Kellner des Restaurants Vatra Neamului
ausspuckte. Ich war dabei, richtig auszurasten, als mir klar wurde, dass er im
Begriff war, mich anzuschwärzen. Ohne viel nachzudenken nahm ich das T-Lineal,
das jetzt an der Wand lehnte und wollte damit auf dem Boden schlagen, aber im
letzten Moment riss es mir Wowa wieder aus der Hand. Ich sprang hoch, wie man
es beim Seilspringen tut, und landete mit den Füßen am Boden, so lange bis Gicu
unten aufhörte, mich zu beschimpfen. Gott weiß, womit ich ihn so verärgert
haben könnte, aber er war sehr böse auf mich. Da war ich baff, denn ich konnte
mich kaum an sein Gesicht erinnern, und ich hatte ihn nie in der Stadt
getroffen, vielleicht nur ein, zweimal inm Vatra
Neamului gesehen, wo er ständig so tat, als ob er nicht wüsste, woher wir
uns kennen. Sein Ärger erschien mir umso weniger verständlich, als ich ihm nie
Anlass dazu gegeben hatte.
Als Wowa aus dem
Zimmer ging, wurde ich schläfrig und legte mich auf einer Seite der Couch hin,
ohne meine Hausschuhe ausgezogen zu haben. Ich weiß nicht, wann ich
eingeschlafen bin und auch nicht für wie lange, Tatsache aber ist, dass ich
irgendwann ins Land der Träume glitt. Die Beruhigungsmittel hielten doch, was sie
versprachen, das wird der Grund gewesen sein. Als ich wieder aufwachte, war das
Zimmer in das bläuliche Licht des Mondes getaucht. Wowa schnarchte, seine Arme
ruhten auf dem Boden, jetzt hörte er nicht mehr den Schwiegersohn von Valentina
Pavlovna, wie er mich als Waschweib beschimpfte. Ich wartete nicht mehr so
lange, um zu erfahren warum, sondern ließ mich aus dem Bett gleiten, sprang auf
und landete auf beiden Beinen, worauf sich der Typ blitzartig beruhigte. Obwohl
ich geräuschvoll gähnte, zwang ich mich an die Decke zu starren, die Hände
unter dem Kopf verschränkt und bemühte mich zu verstehen, was der Typ gegen
mich hatte, aber dazu kam es nicht, denn ich schlief wieder für ein paar
Stunden ein. Das nächste Mal wachte ich vom Knirschen von Autoreifen im Hof
auf, dem es irgendwie gelang, Wowas kräftiges Schnarchen zu übertönen. Ich
schlich mich aus dem Bett, um das Licht auszumachen, aber Wowa sprang plötzlich
auf, machte es wieder an und verfiel gleich wieder in Tiefschlaf. Ich schlief eine
weitere halbe Stunde neben ihm, und als ich aufwachte, war ich allein auf der
Couch. Ich schaute mich im Zimmer um, er war nirgends zu sehen. Da zog ich meinen
Pyjama an und wankte ins Bad, wo er gerade mürrisch und betrübt in den Spiegel
glotzte. Er zischte wortlos an mir vorbei und hinaus, ohne mich anzusehen. Aus
der Anrichte holte ich den Teekessel heraus und setzte ihn auf dem Herd. Er
schwieg und ließ mich nicht aus den Augen. Am liebsten hätte ich ihn angefahren
und gefragt, warum zum Kuckuck er mich so anstarrt, aber ich hatte nicht den
Schneid, ihn wieder in die Mangel zu nehmen. Eine ordentliche Abreibung hätte
er allerdings verdient. Und die sollte ich ihm gleich verpassen. Oder, noch
besser, ich sollte ihn rausschmeißen. Das müsste ich gleich machen. Sofort. Auf
der Stelle. Deshalb packte es mich wieder, und ich begann, mich anzuziehen. Ich
konnte aber nicht weg ohne meinen geliebten Band Oameni din Dublin. Ich suchte danach und konnte ihn nirgends
finden. Auf dem Tisch, auf dem Stuhl, auf der Anrichte, am Boden war er nicht,
bis ich kniete und unter die Couch schaute. Nein, da war er auch nicht, und ich
kriegte einen dicken Hals. Irgendwann fand ich ihn in der Nische hinter dem
Schrank. Immer wenn ich nicht da war, schmiss ihn Wowa irgendwohin. Da er mir
gehörte, traute er sich nicht, ihn zu zerstören, so wie er es wohl gern getan
hätte, sondern begnügte sich damit, darauf zu spucken, Kaffee darauf zu gießen,
ihm eine Gerade zu verpassen, oder ihn bestenfalls wie einen Fußball in die
dreckigste Ecke zu befördern. Jetzt hatte ich ihn hinter dem Schrank gefunden. Ich
nahm ihn dort heraus, wischte den Staub weg und fragte mich, ob er ihn wohl
dorthin geworfen hatte, als ich schlief. Ich wischte das Buch mit einer
Papierserviette ab und drückte es zärtlich an meiner Brust. Wowa war es
einerlei. Er pinkelte lässig bei offener Toilettentür, wobei er mich gänzlich
ignorierte, weswegen ich schnell in die Küche ging und einen Teller voller
Orangen holte, weil ich wusste, dass er verrückt danach ist. Deshalb hatte ich
ihm auch welche mitgebracht. Ich konnte zwar sehen, dass er noch verärgert war,
aber ich streckte ihm doch zögerlich die Orangen entgegen. Ich war darauf
gefasst, dass er mir den Teller aus der Hand schlagen würde. Er nahm aber eine
Orange und begann sie zu schälen, genau so wie damals bei der Polizei. Als ich
ihm dabei zusah, wie er sie gierig aß, verstand ich, dass er unter dem ganzen
Groll, den er gegen mich hegte, einen Schussstrich gezogen hatte, und ich irrte
mich auch nicht, denn, nachdem ich die Orangenschalen in den Mülleimer geworfen
hatte, breitete er seine Arme aus und legte sie mir in einer kräftigen Umarmung
breit lächelnd um den Hals. Plötzlich zog er seine Hose aus und ließ sich auf
mich fallen. Ich weiß gar nicht wie viele Orgasmen ich hatte, zwei oder drei,
aber ich hatte mich schon lange nicht mehr so wohl gefüllt. Als Wowa mich zum
x-ten Mal bumste, klingelte das Telefon, und mein Vater ging dran. Er antwortete
in kurzen, abgehackten Sätzen:
„Wy uwerenny,
Valentina Pawvlovna,... eto ona...Totschno... Moschet byti vam schtoto
pokazalosi...! Ona? No eto nemoschet byti.“
Obwohl er weitermachte, spitzte Wowa
die Ohren.
„No eto nemoschet
byti“, wiederholte mein Vater ständig wie ein Papagei, und ich bewegte mich
beunruhigt unter Wowa. Mein Vater sprach, als ob er den Mund voll hätte und
wiederholte ständig, dass so etwas unmöglich wäre, da begriff ich, dass
Valentina Pawlowna ihm etwas über mich erzählt hatte. Das hatte auch Wowa
kapiert. Er ejakulierte in Eile, und stieg von mir runter. Er ging eilig ins
Vorzimmer, vergaß dabei aber die Tür zuzumachen, so dass ich sehen konnte, wie
mein Vater verblüfft dasaß, so als ob ihm die Decke auf dem Kopf gefallen wäre.
„Nein,
so etwas ist nicht möglich, Valentina Pawlowna“, wiederholte er geistlos, seinen
verlorenen Blick auf dem Boden gerichtet. Wowa nahm ihm den Hörer aus der Hand,
legte auf und warf mir einen verärgerten Blick zu, sagte aber nichts. Was hätte
Valentina Pawlowna erzählen können, dass ihn verstimmt hatte? Hatte sie ihm
etwas über mich verraten? Alle hörten, wie mein Mobiltelefon klingelte, und ich
ging damit ins Badezimmer. Es war Ilona, die mir alles in einem Atemzug
erzählte.
"Du
warst gerade im Fernsehen zu sehen! Meine Alte hat dich gesehen und deinen
Vater angerufen. Und wenn sie es weiß, dann weiß es das ganze Haus. Geh bloß
nicht raus." Ich legte auf und
schlich mich wieder ins Schlafzimmer. Mein Herz war kalt und ich zitterte.
Nach
kurzer Zeit kam mein Vater ins Zimmer ohne anzuklopfen. Ich dachte, jetzt wird
er alles ausplaudern, mich bloßstellen, aber er beachtete mich gar nicht,
sondern nahm nur ein Päckchen Zigaretten, das auf dem Tisch lag und ging zurück
in die Küche, wo er wieder mit Wowa über mich redete. Ja wirklich, sie sprachen
wieder über mich. Jetzt taten sie es aber nicht mehr im Flüsterton, sondern
laut, damit ich alles hören konnte. Mein Herz sank als ich hörte, wie mein
Vater Wowa erzählte, was Valentina Pawlowna gesagt hatte. Eins verstand ich
nicht, jetzt wo sie auch das über mich wussten, wieso hauten sie mir nicht eine
auf den Kopf? Ich verstand es wirklich nicht. Sie hätten mich richtig anfahren
können, aber alles, was sie taten, war, sich gemein zu benehmen. Ich wusste
trotzdem, dass ich es vergeigt hatte. Ein Luftzug öffnete etwas die Tür, und
ich erblickte Wowa, wie er mich mit Verachtung ansah, als ob ich nicht seine
Frau, sondern irgendeine Bordsteinschwalbe gewesen wäre. Trotzdem verstand ich
nicht, warum er mich noch nicht angegriffen hatte. Oder vielleicht warteten sie
darauf, dass ich wieder ins Fernsehen kam. Das war durchaus möglich, sonst
hätten sie mich schon längst zu Brei geschlagen. Meine Schritte waren schwer, so
als ob ich Blei in den Hausschuhen hätte. Ich schleppte mich ins Schlafzimmer
und ließ mich dort in den Sessel fallen. Plötzlich machte mein Vater die Tür
einen Spalt auf und sah mich vorwurfsvoll an, sagte aber nichts. Dann kam Wowa
zurück und legte sich auf der anderen Hälfte der Couch hin. Ich machte meinen
Morgenmantel auf und legte mich bäuchlings auf die Couch, die Wölbung meines
Hinterns darüber ragend, die Brüste in die Matratze gebohrt. Nach kurzer Zeit
schlief ich ein. Das Telefon läutete wie wahnsinnig, ich konnte aber meinen
schnarchenden Mann nicht wecken. Ich hob ab und erkannte gleich Valentina
Pawlownas Stimme. Ich verstellte meine Stimme, sagte, ich sei Wowa, und gleich
fing sie damit an, mir zu erzählen, dass sie sich vor einigen Sekunden erinnert
hatte, was ich heute morgen am Markt zusammen mit dieser Meute gerufen hatte.
Mir wurde ganz bang. Ich schielte zu Wowa hinüber, der sorglos vor sich
hinschlummerte und nicht hören konnte, was Valentina Pavlovna sagte. Ich setzte
das Gespräch trotzdem in gedämpftem Ton fort. Schließlich legte ich ohne
weitere Erklärungen auf. Ich fürchtete schon, Valentina Pawlowna würde jeden
Augenblick zu uns hereinstürmen, den Zeigefinger auf mich gerichtet. Das
Telefon klingelte wieder, und als ich sicher war, dass es wieder Valentina
Pavlovna war, legte ich auf, wobei mir das Glas Wasser aus der Hand rutschte,
auf den Boden fiel und Wowa aufweckte:
„Schto
slutschilosi, Marianotschka?“ /Was ist passiert, Marianotschka?/
"Nichts",
sagte ich und warf einen Fetzten auf die sich ausbreitende Wasserlacke.
„No
ty swinjuschka“ /Du Schweinchen/, sagte er, sah mich schief an und drehte sich
auf die andere Seite.
Valentina
Pawlowna rief erneut an. Diesmal legte ich nicht mehr auf, sondern presste den
Hörer hart an mein Ohr. Sie fuhr fort mir zu erzählen, das heißt Wowa, nicht
mir, denn sie war sich sicher, dass sie mit Wowa sprach, dass sie mich auf dem Marktplatz
gesehen habe, wie ich eine rumänische Flagge
über dem Kopf schwenkte. Der Hörer glitt mir aus der Hand und fiel
direkt in die Pfütze auf dem Teppich. Jetzt verstand ich, warum mir Wowa den
ganzen Tag den Rücken gezeigt hatte. Es war klar, dass Valentina Pawlowna zugesehen
hatte, dass er darüber im Bilde war, wo ich an dem Morgen gewesen war, und was
ich dort getan hatte. Ich drehte mich blitzschnell zu Wowa, aber er schlief und
konnte nicht hören, was Valentina Pawlowna zu sagen hatte. Schließlich zog ich
das Telefon aus der Steckdose und wurde so die alte Frau los. Trotzdem lief es
mir derart kalt den Rücken hinunter, dass ich nicht mehr einschlafen konnte.
Ich schaute abwechselnd auf die Straße und zu Wowa. Ich schnalzte mit der Zunge
und schaltete das Licht aus. Das Geräusch, das im Raum hallte, weckte Wowa zu
meinem Entsetzen auf. Er drehte das Licht auf und ging in die Küche. Es war
schon zwei Uhr nachts, aber er hatte noch immer Lust zu reden. Da drinnen
beredeten die beiden, er und mein Vater, was in der Stadt gerade los war. Mit
dem gleichen Schwung und der Verwunderung wie vor einer halben Stunde. Und
doch, wieso wurden sie dessen nicht müde? Dann überwand sich Wowa und kam
zurück ins Zimmer. Er machte die Tür auf genau in dem Augenblick, als draußen
plötzlich die Polizeisirene zu hören war. Mir war so, als ob eine Ratte meinen
Weg gekreuzt hätte. Ich hielt den Atem an und versteckte mich hinter den
Vorhängen. Als ob jemand meine Kiefer auseinander hielt, hörte ich mit offenem
Mund der Polizeisirene zu, dabei wurde mir abwechselnd heiß und kalt. Das Blut
schoss mir in den Kopf, ich bekam keine Luft und mein Herz raste. Meine Zähne
klapperten auf einmal. Die Zimmerdecke schien sich auch zu drehen. Ich
versuchte, mich zusammen zu reißen. Vergeblich. Mein Mund wurde ganz trocken.
Ein Eisklumpen drücke auf meiner Brust. Statt der Zunge hatte ich, wie Eugen
Cioclea sagte, ein Stück heiße Kohle im Mund. Jetzt würde ich wirklich alles
darum geben, einschlafen zu können. Der Schlaf schien mein einziger Ausweg zu
sein. Aus der Küche kam ich mit dem Becher Wasser in einer Hand und dem
Schlafmittel in der anderen, um es dann nehmen zu können, wenn es nicht mehr
anders ging. Ich stellte es auf den Tisch neben dem Bett und kam halbwegs
wieder zu mir. Aber die Sirene des Polizeiautos ertönte erneut. Ich hab’s
vermasselt, sagte ich mir, und meine Zähne klapperten noch lauter. Meine Wangen
bebten heftig, wie entkräftete Tänzer auf dem Tanzparkett. Mein Puls raste
wahnsinnig, so dass ich ihn nicht mehr messen konnte, was ich einige Male
versucht hatte. Es wurde mir schwarz vor Augen, und in meiner Brust schien sich
eine Schlange eingeschlichen zu haben. Mit offenem Mund und heruntergelassenem
Höschen eilte ich zu Toilette. Mein Kiefer zitterte heftig auch auf der
Toilette, als ob sich vor der Tür ein Wolf befunden hätte. Weiß wie ein Schneeglöckchen
und wankend blieb ich in der Kleiderablage stehen und versuchte herauszufinden,
ob die Polizeisirene noch zu hören war. Ja, sie war noch zu hören und wurde
immer lauter. Und es gab nicht nur eine, sondern mehrere. Moment, vielleicht
war es keine Polizeisirene, sondern etwas anderes? Aber was hätte es sein
können? Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es schien, als
ob es im Hof still würde. Es schien so und dann auch wieder nicht. In manchen
Augenblicken kam mir vor, dass es völlig still war, in anderen wiederum hätte
ich mir am liebsten die Finger in die Ohren gesteckt. Ich war mir nicht sicher,
dass die Polizeiautos weg waren, aber auch nicht, dass sie es nicht waren. Dann
hörte ich wieder die Polizeisirene. Diesmal klang sie ganz wild. Danach hörte
ich es an der Tür klingeln, und mein Herz sprang mir fast aus der Brust. Wowa
ging aufmachen. Sie waren es! Sie wollten mich abholen, wie in einer Erzählung
von Caragiale! Jetzt wird mir niemand auf dieser Welt glauben, dass ich nur
zufällig auf dem Platz war, eben um Veronica zu bitten, mir ein Buch von Kadare,
Verwehter April, zu borgen. Wowa
unterhielt sich heftig, ich lag wie ein Hase zusammengerollt auf der Couch und
dachte, dass es für mich keine Rettung mehr geben würde. Ich verstand nicht,
wieso sie mich nicht holten, und woher Wowa den Mut hatte, sie noch
anzuschreien. Ich schlich mich verängstigt hinter ihn und sah, wie er den
Schwiegersohn Valentina Pawlownas anschrie, der ordentlich benebelt, wie er
war, die Stockwerke verwechselt hatte. Nachdem er einige Stunden zuvor in
seiner Wohnung gehörig über mich gelästert hatte, klopfte Gicu jetzt unablässig
an unsere Tür und behauptete, dass es seine wäre, wobei er mich nicht erkannte
und auch nicht zu verstehen schien, was Wowa zu ihm sagte. Mein Mann winkte
angewidert ab und überließ es mir, den Schwiegersohn Valentina Pawlownas zu
überzeugen, dass seine Wohnung sich einen Stock tiefer befand, denn seit er die
Wohnung in unserem Haus gekauft hatte, konnte er sich das Stockwerk nicht
merken.
Während
Marianotschka sich noch mit Gicu im Flur stritt, rief mich Valentina Pawlowna auf
dem Handy an und sagte zischend, ich solle schnell den Fernseher einschalten.
Ich tat es und sah, wie meine Frau ein Portaät des Präsidenten in Brand
steckte. Ja, sie war es. Je angestrengter ich auf den Bildschirm glotzte, desto
klarer wurde es, dass Valentina Pawlowna die Wahrheit gesagt hatte. Diese
quirlige Person, die fröhlich ein Portrait des Präsidenten verbrannte, war
meine Frau, die mich angeflunkert hatte, dass sie in die Philharmonie zu einem
Konzert ginge. Ihr Bild breitete sich auf dem gesamten Bildschirm aus. Ja, sie
war es und sie hielt mit zwei Fingern ein flammendes Portrait des Präsidenten,
und das bedeutete, dass Valentina Pawlowna mich nicht beschwindelt hatte, als
sie mir zu Mittag sagte, dass meine Frau sich am Platz vor dem
Regierungsgebäude befindet. Nein, es gab keinen Zweifel. Sie war es, und sie
schrie mit krächzender Stimme gegen die Kommunisten, die ich und mein
Schwiegervater vereint gewählt hatten, und die sie nicht riechen konnte. Ob
mein Schwiegervater auch fernsah? Wohl eher nicht, sonst wäre er schon längst
in die Luft gegangen. Als meine Frau zurückkam, machte ich den Fernseher aus.
Sie legte sich neben mir auf die Couch, als ob nichts gewesen wäre. Woher
sollte sie auch wissen, dass sie in der Glotze zu sehen gewesen war? Sie
strampelte mit den Beinen in der Luft, und ich fragte mich, wie sie da
reinschlittern und mit Steinen werfen konnte, wo sie sonst so friedlich ist?
Ich verstehe schon, dass sie einen anderen Standpunkt und andere politische
Vorlieben hat. Ich verstehe, dass sie die Kommunisten nicht riechen kann, aber
von da bis zum Bewerfen des Regierungsgebäudes mit Steinen ist ein langer Weg.
Das kann ich nun wirklich nicht verstehen. Trotzdem sagte ich nichts zu ihr.
Nur mein Mund wurde trocken und meine Augen schauten in alle Richtungen, wie
laufende Hasen im Feld. Nein, ich hatte keine Lust jetzt, den Stier bei den
Hörnern zu packen, also drehte ich mich enttäuscht um.
An
der Tür klingelte es wieder. Ob es noch einmal Gicu war? Ich spitzte die Ohren
und merkte, dass es nicht unsere Klingel war, sondern die an der Tür unter uns,
die wieder einmal von der Polizeisirene überlagert wurde. Ob es nur ein Auto
war oder sogar mehrere? Ich lief schnell zum Fenster und sah drei silberne
Autos, die mit ihren blendenden Scheinwerfern den Hof absuchten, in dem sich
bereits ein Duzend Polizisten wie die Krätze ausgebreitet hatten, bei deren
Anblick ich einen Stich ins Herz verspürte und meine Knie weich wurden. Eine eklige
klebrige Flüssigkeit bedeckte plötzlich mein Gesicht. Im Bruchteil einer Sekunde
verstand ich, dass sich mich holen wollten und wich vom Fenster zurück.
Erschrocken trat ich auf der Stelle, wusste nicht was tun und wo ich mich
verstecken sollte. Mit offenem Mund schlich ich noch einmal zum Fenster und
erspähte durch die weit offene Tür eines Kleinbusses drei dickwanstige Bullen
mit Zigaretten zwischen den Zähnen, die sich einen Film im NIT anschauten.
Plötzlich schaute einer von ihnen herauf, und unsere Blicke trafen sich, oder
zumindest dachte ich das, so dass ich im nächsten Augenblick bleich zu Boden
sank, ohnmächtig vor Angst. Jetzt wusste ich wirklich nicht, wo ich mich
verstecken konnte. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich mich am Boden hinkauerte
und mich hinter dem Heizkörper versteckte, aus dem einige kalkhaltige Tropfen
Wasser herauskamen und auf meiner Stirn landeten. Ich hatte nicht die Kraft sie
abzuwischen, so dass sie an meinem Gesicht herunter liefen und einer davon in
meinem Mund landete. Ich wusste, dass ich mich zwischen den Tropfen
hindurchschlängeln musste, hatte aber nicht die Kraft dazu. Der Lärm draußen
wurde immer stärker. Die Polizeisirene heulte weiter. Man konnte Schreie,
Weinen und das Knallen von Türen hören. Ich sprang auf die Beine – genau in dem
Augenblick, als zwei Polizisten mit aufgekrempelten Ärmeln einen kahlrasierten
jungen Mann mit aufgemalter Tricolore auf der Wange wie einen Sack in den Käfig
des Kleinbusses bugsierten. Ich glaube, es war Vladutz. Währenddessen stürmten
an die fünf Bullen in den Wohnblock herein. Jetzt war ich an der Reihe, nahm
ich entsetzt und verzweifelt an, als ich ihre Schritte im Treppenhaus hörte.
Der Lärm breitete sich vom Erdgeschoss immer weiter herauf aus und landete bald
vor unserer Tür. Im nächsten Augenblick erklang unsere Türglocke. Ich blieb mit
weit offenen Augen stehen, und der Kragen wurde mir gleich eng.
Als
ich die Tür aufmachte, begriff ich, dass die aufgeregte Polizistenmeute wegen
meiner Frau gekommen war. Ein höherer Grad packte mich beim Kragen und und rief
mit ärgerlicher Stimme, ich solle Mariana sagen, sie soll rauskommen. Ich
verstand gleich warum, sie wollten sie mitnehmen, weil sie am Platz gewesen
war. Das heißt, sie wollten sie einbuchten. Ich fürchtete, sie würden
hereinstürmen, also sage ich schnell auf Russisch, dass wir uns vor den Wahlen
hatten scheiden lassen, weil sie gegen den Präsidenten war, ich aber für ihn
war, und nicht wusste, wo sich Mariana zu Zeit aufhalten könnte. Einer von
ihnen unterbrach mich, um zu sagen, dass sie wussten, dass ich für den
Präsidenten war, weshalb sie von mir auch nichts wollten, aber mit meiner Frau
würden sie einmal gerne plaudern. Ich wiederholte, was ich bereits gesagt
hatte, auch wieder auf Russisch. Ich sprach sie auf Russisch an, weil ich
prinzipiell alle auf Russisch anrede, inklusive Mariana, was sie oft aus der
Fassung bringt, genauso wie es mich aus der Fassung bringt, wenn ich ehrlich
sein soll, dass sie mit mir ausschließlich auf Rumänisch redet, egal wo wir
sind, zuhause oder auf der Straße, egal, ob wir allein oder in Gesellschaft
sind, wobei es ihr egal ist, dass man uns oft als Verrückte ansieht. Jetzt
dachte ich aber nicht an den Reaktionen der Bullen, sondern ratterte meinen
russischen Text herunter und sah dabei dem Ranghöchsten unter ihnen direkt in
die Augen.
„No vy davno rastalisi?“,
fragte dieser und versuchte damit, mich beim Lügen zu ertappen. Ich flunkerte
kaltblütig weiter, dass wir uns direkt vor den Wahlen getrennt hatten, weil ich
für den Präsidenten bin, sie aber gegen ihn und die Partei, die er anführt. Es
sah so aus, als hätten die Bullen mir alles abgekauft, eben weil ich Russisch
gesprochen hatte. Deshalb prüften sie auch nicht weiter, ob ich ihnen doch
vielleicht einen Bären aufgebunden hatte, und gingen wieder, um an anderen
Türen zu läuten. Wenn sie mich aber beiseite geschoben hätten, so steckte ich
wohl jetzt auch im Schlamassel.
Ich
lag noch immer unterm Bett, als der Lärm im Flur aufgehört hatte und Wowa
zurückkam. Ich fragte ihn, mit wem er so lange geredet hatte, und er meinte,
Gicu hätte sich wieder in der Tür geirrt. Bald klingelte es aber wieder an
unserer Tür. Ich sollte mich schnell verstecken, dachte ich mir schnaufend,
aber mangels anderer Einfälle ging ich unter unsere orange Couch, auf der Wowa
saß, der anstatt zu Tür zu gehen, den Fernseher einschaltete. Mein Herz raste,
ich zitterte am ganzen Körper, während Wowa da saß und sich laut lachend Ice Age ansah. Gleich bei den ersten
Repliken wusste ich, was er sich da ansah, ich war aber ziemlich schockiert
darüber, dass er sich den Film anschauen konnte, während irgendjemand so
eindringlich an der Tür klingelte. Was für eine Unverfrorenheit, so lang und
eindringlich zu klingeln. Aber anstatt öffnen zu gehen oder sich aufzuregen,
schaute sich Wowa unter großem Gelächter den Film an. Und doch kam mir sein
Lachen unnatürlich und gezwungen vor. Er machte aber weiter damit, je länger es
an der Tür klingelte, umso lauter lachte er, laut und ansteckend.
Als
das Klingeln anfing, wusste ich gleich, dass irgendjemand in unserem Haus die
Bullen zur Rückkehr bewegt hatte, wohl mit der Information, dass ich sie
gepflanzt hatte und Mariana zuhause ist. Nur die Bullen hätten so lang und
eindringlich geläutet. Es war mir klar, dass sie nicht nur meine Frau, sondern
auch mich mitnehmen würden, falls sie in die Wohnung kämen. Deshalb hatte ich
auch gar nicht vor ihnen aufzumachen, und begann stattdessen mir Ice Age anzuschauen.
Über
mir lachte Wowa lauthals weiter, und ich fragte mich, wie kann er so
gleichgültig bleiben, wenn die Polizisten, die mit Händen und Füßen an der Tür
klopfen, diese jeden Augenblick eintreten, in die Wohnung eindringen und mich
bei den Haaren zu einem ihrer blutverschmierten Kleinbusse im Hof schleppen
könnten. Das bedeutete nur, dass es ihm völlig egal war, dass ich mich in
großer Gefahr befand. Während ich jeden Augenblick hätte verhaftet werden
können, saß er über mir und unterhielt sich großartig bei Ice Age. Ich könnte wetten, dass er nicht einmal bemerkt hat, dass
ich mich unter dem Sofa versteckt hatte, und wenn er das bemerkt hatte, wieso
fragt er sich nicht, warum ich das getan habe? Ich weiß aber warum, weil es ihm
schnurz piep egal ist. Wie ich weiter seinem Lachen zuhörte, dachte ich, dass
ihm vielleicht eher die Gründe egal sind, warum ich mich unter das Sofa
gekauert hatte und am ganzen Körper zitterte.
Die
Türglocke schrillte weiter und ich sagte laut: „Ob die Polizisten wirklich wegen
mir zaskatschili?“ Es verschlug mir
den Atem, denn ich hatte das „z“ nicht aussprechen können und statt
"gekommen sind" war mir das Wort „zaskatschili“
herausgerutscht. Ich wusste beim besten Willen nicht, warum mir ein russisches
Wort hereingerutscht war, wo ich doch ein rumänisches hätte verwenden können.
Das jagte mir einen solchen Schrecken ein, dass mein Mund augenblicklich
staubtrocken wurde. Der Schreck war etwa genauso groß wie der, den ich davon
hatte, dass ich schon den Atem der Bullen im Nacken spürte. So dachte ich, dass
ich wohl trotz aller Mühe, die ich mir täglich gab, allmählich meine Sprache
vergaß, und das in Kishinau, im achtzehnten Jahr der Unabhängigkeit. Ich wurde
Nastjuscha Lazar immer ähnlicher, die ich am siebten April am Platz getroffen
hatte. Sie trug eine Axt am Gürtel und skandierte Sprüche gegen die
Kommunisten, aber mit ihrem fünfjährigen Sohn, den sie an der Hand hielt, sprach
sie nur Russisch, obwohl dieser von Kopf bis Fuß Moldawier ist. Ich will keine
zweite Nastjuscha Lazar werden, sagte ich mir zornig, während es an der Tür
weiter klingelte. Oben lachte Wowa weiter, ich unten dachte mir, dass wenn Gott
will, dass mich die Bullen nicht kriegen, ich ihn umgehend verlassen werde,
einerseits weil ich keine zweite Nastjuscha Lazar werden wollte, andererseits
weil ich nicht weiter bei jemanden bleiben wollte, der, während ich hier unten
auf dem staubigen Boden zittere und schwitze, sich über mir vor Lachen zerkugelt
und unter einer samtigen wohlriechenden Decke liegt.
Der
Lärm, den unsere Türklingel machte, wurde ohrenbetäubend, so dass ich mich wie
ein Hase unter der Decke verkroch. Um nicht auszurasten oder die Panik zu kriegen,
zwang ich mich, weiter Ice Age anzuschauen
und so laut ich konnte zu lachen, obwohl mein Lachen irgendwie gequält und
künstlich klang. Mir war überhaupt nicht nach Lachen, aber ich zwang mich dazu.
Bald
verspürte ich eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Jetzt war es mir egal, ob die
Polizisten die Tür aufbrechen würden oder nicht. Es war mir wurscht. Minuten
später überkam mich eine große Angst, dass sie mich in irgendeinen dunklen
Keller einsperren würden. Oben auf der Couch lachte sich Wowa krumm. Mit dem
Gesicht auf dem kalten Boden winselte ich darunter und beschimpfte ihn, weil er
so gleichgültig angesichts des Schmerzes eines anderen sein konnte. Wie ich
zusammengekauert da lag, dämmerte es mir, dass er jetzt die Gelegenheit hatte,
mich der Polizei auszuliefern. Ohne dass ich es weiß. Ich meine, er könnte auf
den Flur hinausgehen und ihnen zuflüstern, dass ich den Präsidenten nicht
leiden kann oder irgend so einen Mist. Auf jeden Fall würde ich nie wissen, wer
mich verraten hat. Es wäre normal das zu tun, so lange ich gegen diejenigen
bin, die er und mein Vater so bewundern. Jetzt kann er mich durch den Wolf
drehen lassen und loswerden. Jetzt hat er die Gelegenheit, es mir zu zeigen,
indem er andere die Kohle aus dem Feuer holen lässt. In jenen Augenblicken
größter Angst, dachte ich, wenn ich soviel Schwein hätte einer Verhaftung zu
entkommen, so würde ich morgen früh in eine andere Wohnung übersiedeln, wo ich
ganz allein leben würde. Der Radau auf dem Flur nahm zu. Jetzt schlugen sie mit
Händen und Füßen gegen unsere Tür. Über diesem Lärm war hie und da Wowas Lachen
oder die Stimme des Eichhörnchens aus Ice
Age zu hören. Plötzlich wurde es still. Es schien, dass diejenigen, die sich
an unserer Tür zu schaffen machten, kapiert hatten, dass es sich um eine
Qualitätstür handelte, die man nicht so leicht eintreten konnte, und daher aufgaben
und sich verzogen. Auf dem Flur war es ruhig, wie in der Wüste. Ich kam
irgendwie von unter der Couch hervor. Wowa sah mich, drehte den Kopf in eine
andere Richtung und machte den Fernseher aus. Unter seinem steinernen Blick
ging ich nach nebenan. Der Hof war jetzt vollkommen leer, was nur eins bedeuten
konnte, nämlich dass sich die Affen verzogen hatten. Trotzdem zitterte ich noch
vor Angst und hätte nicht den Mut gehabt, nach draußen zu gehen. Ich wischte
den Staub von mir herunter und legte mich zu Wowa, der sich noch immer Ice Age ansah, nur dass sein Gesicht
jetzt voller Tränen war. Als alter Fuchs wusste ich, warum er das tat, nämlich
um mich weiter zu erniedrigen. Das war wohl sonnenklar. Bald wischte er sich
aber die Tränen ab, schaltete den Fernseher aus und drehte mir den Rücken zu.
Das nenne ich Frechheit, dachte ich. Was soll’s, ungehobelt war er und so blieb
er auch. Nein, keine Chance einzuschlafen heute Nacht, also schloss ich die
Augen und lag bloß so da. Irgendwann schlief ich doch ein und wachte spät, erst
gegen Mittag, auf. Er sah sich noch immer Ice
Age an, aber es war wie in einem Roman von Pelewin, ohne Ton. Als er
merkte, dass ich wach war, machte er den Fernseher aus. Das Telefonläuten erhalte
im ganzen Haus, und ich erstarrte im Vorzimmer mit einem Gefühl von deja vu. Ich
hob doch ab. Es war wieder Valentina Pawlowna und ich riss die Schnur aus der
Wand, als ich ihre Stimme hörte. Ich stand im Vorzimmer und wusste nicht, wohin
ich gehen sollte, denn egal, wo ich war, konnte ich trotzdem Wowa und meinen
Vater hören, wie sie redeten und die Barbaren verteufelten, die Parlament und
Präsidentenpalais verwüstet hatten. Eine Weile ging ich im Vorzimmer auf und
ab, bis mein Vater verärgert die Tür einen Spalt aufmachte und gereizt zu
husten begann. Ich verzog mich schnell ins Schlafzimmer und rollte mich in
einer Couchecke ein. In der Küche hörte Wowa meinem Vater zu, wie er ihm
erklärte, wer die Kanaillen aus unserem Haus sind, die das Parlament mit
Steinen beworfen und sogar die Vorhänge heruntergerissen hatten. Ich streckte
vorsichtig meine Beine aus, um ja nicht Wowas Hälfte der Couch zu berühren.
Während dessen schimpfte mein Vater unermüdlich weiter über junge Leute wie Wladutz
und andere aus unserem Haus, die gestern Abend verhaftet worden waren. Ich kann
gar nicht sagen, wann es passiert ist, fest steht, dass ich in einen tiefen,
langen und traumlosen Schlaf versank, aus dem ich erst am nächsten Abend
aufwachte, mit dem Gedanken, meine Sachen zu packen und irgendwo eine
Untermiete zu suchen. Wowa stand ihm Vorzimmer und hörte meinem Vater zu, aber
als er durch die offene Tür sah, dass ich wach bin, ließ er Wassilij
Georgewitsch, dessen Satz er nicht mehr zu Ende hörte, stehen, umarmte mich,
küsste mich auf die Lippen und sagte:
"Malenkaja,
ja tebja tak ljublju, ne hotschesch schtoto pokuschati?"
Ich
sah ihn verwirrt an, während er mich weiter abknutschte.
"Ich
liebe dich auch, aber nein, danke, ich möchte jetzt nichts essen", sagte
ich auf Rumänisch mit dumpfer Stimme. Ich löste mich aus seinen süßen und
wohlriechenden Armen, griff unter meinem Polster nach Oameni din Dublin und tat das Buch in meine
Tasche. Ich packte schnell meine Sachen zusammen und als ich damit fertig war,
ging ich auf den Balkon hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. Ich wollte mir
damit den Mut holen, ihm zu sagen, dass es aus ist, und ich ihn verlasse. Nach
allem, was gestern Abend passiert ist, kann ich keine Minute länger unterm
gleichen Dach mit dir verbringen, wollte ich ihm sagen, während ich kräftig an
der Zigarette zog. Draußen, wo kein Mensch zu sehen war, wurde der Himmel
dunkel, und es begann zu regnen. Die Kippe brannte schon an meinen Fingern, ich
zog aber weiter daran. Ich drückte sie aus, machte die Tür auf und ging in
seine Richtung, um ihm zu sagen, dass ich ihn nach dem, was gestern Abend war,
für immer verlasse. Stattdessen lief ich zu ihm hin, umarmte ihn begierig und
küsste ihn. Und während wir uns zärtlich umarmten und immer wieder gierig
küssten, fing Gicu wieder an, Valentina Pawlowna anzuschreien, auch Wladutz'
Schwester begann ihre Mutter anzuschreien, und ihre Stimmen vermengten sich,
wie der Straßenschlamm im Winter. Plötzlich machte mein Vater die Tür auf und
fragte, ob wir wüssten, was heute in der Moldova
Suverana gestanden ist, wobei sein Blick, immer missbilligender werdend,
zwischen mir und Wowa hin und herging.
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